„Wir verstehen uns prima“

René bringt so leicht nichts aus der Ruhe. Erst recht keine lauten oder fiepsenden Geräusche. Der 34-jährige Maler aus Bautzen ist seit seiner Geburt stark schwerhörig, fast taub. Wild durcheinander redende Menschen am Arbeitsplatz bringen ihn nicht aus dem Konzept. Baustellenlärm oder emsige Geschäftigkeit stören ihn nicht. Laute oder schlechte Musik – kein Problem. René ist ein Mitarbeiter, der manchmal, ganz heimlich als goldener Unterpfand gilt. Wegen seiner – wenn man es so will – besonderen Fähigkeiten eignet er sich besonders für den Einsatz bei laufendem Betrieb. Das zumindest sagt sein Chef. Der junge Maler lacht schüchtern und taucht seine Rolle in den Farbeimer. Er zählt zu den Bescheidenen, den Fleißigen, zu denen, die jeden Tag geflissentlich ihre Arbeit verrichten und keinen großen Wind darum machen.

Ein junger Maler steht auf einer Leiter an der ein Farbeimer mit Pinsel hängt. Er schaut nach unten und lächelt in die Kamera.

René steigt die Leiter hinab. Seine Augen leuchten fast kindlich, seine Züge sind weich, der Blick wach. In den braunen Haaren hat sich ein Farbklecks verfangen, das passiert schon mal beim Decke-Streichen. Sein Handwerk hat der Geselle in Bautzen gelernt. Damit gehört er zu den Fachkräften in Sachsen, zu denen, die immer rarer werden. Und er verfügt nebenbei über seltene Zusatzqualifikationen: René kann Gebärdensprache und Lippen lesen, er versteht Laute und erkennt mehr aus der Haltung seines Gegenüber als manche Manager, die Seminare über Körpersignale halten. Er lacht und redet, wenngleich ihn nicht jeder leicht verstehen kann, weil Laute bei Schwerhörigen oft anders klingen.

Der Maler rückt sich seine Leiter zurecht, inspiziert die Decke und schreitet zur Tat. Neben ihm rührt der acht Jahre jüngere Marcel Farbe an. René muss lachen: Mit seinem neuen Kollegen macht alles noch mehr Spaß. Nicht nur, dass sich Marcel als erfahren-ambitionierter Geselle um die Ränder kümmert. Der junge Maler aus Bischofswerda hat den schwerhörigen René auch schwer ins Herz geschlossen. „Wir verstehen uns prima“, erklärt Marcel. „Mit Lippen, Händen, Füßen und den Augen.“

ein junger Maler schaut zufrieden auf sein Werk
zwei junge Maler schauen lachen miteinander, der rechte hält einen Roller in der Hand

Marcel hat keine Behinderung. Im Inklusionsunternehmen paso doble arbeiten Menschen mit und ohne Behinderung gemeinsam – zu einem Team integriert. Das Verhältnis ist ausgeglichen, knapp die Hälfte der Mitarbeiter hat eine Behinderung, die andere Hälfte ist gesund.

René und Marcel haben sich von Anfang an verstanden – fast ohne Worte. Mittlerweile kann Marcel selbst Lippenlesen und will einen Kurs für Gebärdensprache absolvieren. „So kann ich René noch besser verstehen“, sagt er. Kumpeliges Kichern, freudige Männergesichter, gleichmäßig streichende Malerpinsel und kurze Seligkeit dort in der Halle eines Industriebetriebes in Liegau-Augustusbad. Als könnte die beiden nichts und niemand aus der Ruhe bringen.

Ein junger Mann mit Bart und Brille erklärt mit seinen Händen, dass etwas groß ist. Ein anderer junger Mann steht vor ihm und schaut ihn an.

Auf dieser Homepage nennen wir unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nur bei ihren Vornamen. Das hat aber keinen herabwürdigenden Grund und soll auch nicht flapsig oder gar hip wirken. Ganz im Gegenteil. Wir schätzen deren Mut sehr, ihre persönlichen Erfahrungen öffentlich zu machen. Dem begegnen wir mit Respekt und nennen nicht ihre Nachnamen und kürzen diese auch bewusst nicht ab.