„Nur in meinem Kopf“

Die Fantastischen Vier bringen es mit ihrem Liedtitel vielleicht am ehesten auf einen Punkt. „Nur in deinem Kopf“ singt die deutschsprachige Hip-Hop-Band in den frühen Neunziger Jahren. Nur in seinem Kopf spielen sich auch die Welten von Michael manchmal ab. Dann bekommt er Panikzustände, ist seinen Vorstellungen erlegen und kämpft gegen sich selbst. „Das ist jedoch viel weniger geworden“, erklärt ein fröhlicher Mann, als ob es nichts Banaleres gäbe. Seine Augen leuchten, fast wirkt er unbekümmert – doch manchmal erwischt sie ihn dann noch, die große Dunkelheit mit ihren quälenden Angstgenossen.

Junger Mann im profil schaut nachdenklich

Michael ist ein junger Mann, der an einer sogenannten endogenen Psychose leidet. Vereinfacht formuliert, funktioniert die Übertragung von Signalen in seinem Gehirn nicht so störungsfrei wie bei völlig gesunden Menschen. Während Michael all das erzählt, läuft er von Raum zu Raum, sprüht Desinfektionsreiniger auf Waschbecken und Toiletten, kehrt den Boden und lässt seine zahlreichen Wischtücher darüber hinwegsausen. Als er sich einen neuen Lappen von seiner Reinigungsstation holt, bleibt er plötzlich stehen und sagt: „Ich hatte schon oft gehört, dass Menschen hängen bleiben. Doch ich habe nie gedacht, dass mir das passieren kann.“

Hände beim Putzen einer Waschbecken-Armatur
Junger Mann mit Spiegelbild putzt ein Waschbecken

Michael hat Mittelschulreife, ist ein ausgebildeter IT-Assistent und außerdem Gärtner. Seit April 2011 arbeitet er für das Inklusionsunternehmen paso doble. Er kümmert sich um die Reinigung von Gebäuden sowie um die Logistik, die damit zusammenhängt. „Ich bin glücklich hier“, erklärt der 33-Jährige. Und so beschwingt, wie er zum Waschmaschinen-Haus läuft, bleibt auch keine andere Möglichkeit, als ihm das zu glauben.

Nach seinem Zusammenbruch hat er nicht gedacht, dass es ihm einmal wieder so gut gehen könnte. Krankenhausaufenthalte, Rehabilitationen und die langsame Wiedereingliederung. Diese Lebensphase war nicht von Leichtigkeit geprägt. Nach der Ausbildung zum Gärtner dann die erfolglosen Bewerbungen auf einem straff durchorganisierten und unterbezahlten Markt. Über den Gärtner in Hessen ärgert sich Michael immer noch. Weil der ihn damals ohne Arbeitsvertrag beschäftigte und er dies auch noch mitgemacht hat.

Im Inklusionsunternehmen paso doble hat Michael seit fünf Jahren einen unbefristeten Vertrag. „Mein Arbeitstag hier ist ziemlich strukturiert, aber ich muss nicht hetzen“, erklärt er. Das ist wichtig, denn Stress verstärkt seine Symptome. Dann werden sie wieder lauter, die Stimmen in seinem Kopf. Voller Energie bearbeitet er also Gang für Gang, Etage für Etage. Die Abendsonne schiebt warmes Licht auf den Flur, Michael schließt den letzten Raum auf. Von oben klingt Tango-Musik. Der Tanz mit dem Wischmopp kann beginnen.

Junger Mann mit Reinigungsmaschine

Auf dieser Webseite nennen wir unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nur bei ihren Vornamen. Das hat aber keinen herabwürdigenden Grund und soll auch nicht flapsig oder gar hip wirken. Ganz im Gegenteil. Wir schätzen deren Mut sehr, ihre persönlichen Erfahrungen öffentlich zu machen. Dem begegnen wir mit Respekt und nennen nicht ihre Nachnamen und kürzen diese auch bewusst nicht ab.