„Kapitän Hook im Einsatz“

Reinhard kann sich noch genau erinnern, an diesen Tag im Jahr 1994. Als das Förderband der Recyclinganlage seinen Arm erfasste. Ganz ohne Gnade, unwissend, dass es sich nicht um ein Metallteil handelte. Heute hat der 57-Jährige gelernt, mit Prothesen zu leben – und zu arbeiten. Selbstbewusst schwenkt er seinen Arm-Haken durch die Luft, schiebt die Essenswagen nach einem ausgeklügelten System gen Ausgang und öffnet, dort angekommen, mit einer Fernbedienung die Laderampe des Transporters. Darauf thront er dann, nicht ganz ohne Stolz, mit seinem Wagen und einem leichten Lächeln im Gesicht.

Mann mit Hakenhand am rechten Unterarm schiebt Wagen mit Essenbehältern

Reinhard gilt seit seinem Unfall, bei dem er den rechten Unterarm verloren hat, als Mensch mit Behinderung. Seit fünf Jahren arbeitet er bereits bei paso doble, hat hier wieder seinen Platz im Arbeitsleben gefunden. Täglich liefert er Essen an Kitas und zahlreiche Patienten des Epilepsiezentrums Kleinwachau. Er grüßt, winkt, schiebt, er öffnet und schließt die Laderampe, bugsiert das Auto durch engste Ein- und Ausfahrten, pendelt zwischen Großküche und Stationen. Und ist immer da, pünktlich und zur rechten Zeit.

Das Inklusionsunternehmen paso doble hat für ihn extra einen Lieferwagen umbauen lassen. Die linke Handbremse, die Multi-Bedienvorrichtung am Lenkrad oder die Fernsteuerung der Laderampe – das alles ist ab Werk eigentlich so nicht vorhanden. Natürlich freut sich Reinhard darüber. Doch ganz kurz, zwischen Großküche und Station 2, blitzt ein amüsiertes Lächeln durch. Damals nach seinem Arbeitsunfall, erklärt er, habe sein Chef auch schon einen riesigen Radlader für ihn umfunktionieren lassen. Mehrere Jahre schaufelte Reinhard das Schüttgut damit quasi locker aus der linken Hand. Doch dann raffte die Insolvenz das Unternehmen dahin. Reinhard wird noch immer rot, wenn er darüber redet.

Mann mit Hakenhand am rechten Unterarm am Lenkrad seines LKW
Hand mit Fernbedienung

Mit seinem Transporter steuert Reinhard den Kindergarten an. Der Haken seiner Arm-Prothese ist rechts in das Lenkrad eingeklinkt, draußen blitzt die Frühlingssonne. Da im Leben alles eine Frage der Perspektive ist, könnte man vermuten, dass Väter eifersüchtig werden. Denn: In der Kita ist Reinhard der große Held, der Unangefochtene, der Heroische, der wirkliche, echte Pirat. „Die Kinder nennen mich Kapitän Hook“, erklärt er, lacht, inspiziert die Heckkamera und setzt rückwärts in die Einfahrt ein.

Natürlich hat Reinhard auch eine bessere Prothese – so eine supermoderne, mit der er auch seine künstlichen Finger bewegen kann. Doch für das Arbeiten ist die Feinmotorik zu empfindlich. Mehrmals sei die 8.000-Euro-Prothese schon kaputt gewesen. Dann habe die Krankenkasse schließlich eine Arbeitsprothese – den Haken also – genehmigt.

Reinhard arbeitet 24 Stunden in der Woche. „Mehr geht nicht, sonst schmerzt der Arm wieder“, erklärt er. Nach fünf Jahren im Unternehmen ist er glücklich hier, will bis zur Rente bleiben. Nur manchmal schaut er mit ein bisschen Wehmut auf die Zeit in seinem großen Radlader zurück. „Das Auto hier hätte allein in die Schaufel gepasst“, erklärt er und wirft den Motor wieder an.

Mann mit Hakenhand am rechten Unterarm am Lenkrad seines LKW

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